Kaplitz

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Kaplitz

Kaplice

Wer von Freistadt kommend über Wullowitz in die Tschechische Republik in Richtung Budweis einreist, wird nach wenigen Kilometern nicht nur an den Hinweistafeln von Niederlassungen österreichischer Firmen und an neuen Betriebsgründungen vorbeifahren, sondern auch an Wohnblocks, die deutlich und fast schmerzlich an die vergangene kommunistische Zeit erinnern.
Diese Bauten sind wie Mauern, die den Blick auf das alte Kaplitz verhindern und nur wenige Reisende werden wissen, dass dieser Ort eine lange und alte Geschichte hat, dass Kaplitz einst ein mitteleuropäisches Zentrum ersten Ranges war und dass hier 1918 die Staatserklärung Deutschösterreichs vom 22. November 1918 über die Einbeziehung der deutschen Gebiete Böhmens in ihren Rechtsbereich sehr ernst, ernster als in anderen Teilen des Böhmerwaldes, genommen wurde. Vielleicht sollte man die Fahrt unterbrechen und in das Städtchen hineinfahren. Die Spuren dieser Vergangenheit sind verweht, elf Brände zerstörten das historische Gepräge, Denkmäler wurden gestürzt, Erinnerungstafeln abmontiert. Mit Phantasie und Vorstellung kann man das Geschehen erahnen. Hauptplatz und Pfarrkirche, einige Kapellen und Bürgerhäuser sind Anhaltspunkte für einen kleinen historischen Rundhang. „..nur wenige wissen, dass der Ort eine lange und alte Geschichte hat…“
Kaplitz wird 1257 (oder 1258) als „Capliz“ zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Es entstand als Marktdorf am Handelsweg Budweis – Freistadt – Linz. Roman Podhola geht von einer ursprünglich tschechischen Kolonialisierung und späteren deutschen Besiedelung aus, die nach der Schlacht am Weißen Berg gestärkt wurde.1 Das Stadtrecht, das dem Markt Kaplitz schon 1382 verliehe wurde, ist in deutscher Sprache abgefasst, was aber auf eine sehr frühe deutsche Besiedelung hinweist.2 Im Jahre 1317 erwerben die Ritter von Poreschin durch einen Tausch die Burg und das Gut Poreschin zu welchem etwa 60 Ortschaften, darunter auch Kaplitz, gehörten. In der Hussitenzeit hatte auch Kaplitz zu leiden. 1423 wurden die Kirche und der Pfarrhof geplündert, ein Pfarrer in der Kirche verbrannt. 1434 kam Kaplitz zu den Rosenbergern, 1611 folgten die Herren von Schwanberg. 1620 fiel das Städtchen als Bestandteil der Herrschaft Gratzen an die Familie Buquoy. 1849 wurde Kaplitz Sitz einer k.k. Bezirkshauptmannschaft und Sitz eines landesfürstlichen Bezirksgerichtes. Den Grafen Buquoy blieb nur das Patronat über die Pfarre. 1945 wurden Carl Georg Graf Buquoy und sein Sohn Ferdinand in Budweis inhaftiert, 1947 zwar freigesprochen, aber nur Ferdinand freigelassen. Ein Volksgericht verurteilte nach der kommunistischen Machtergreifung den Grafen Karl Georg wegen „Germanisierung des Böhmerwaldes“ zu 13 Jahren Gefängnis. Er starb 1952 in einem tschechischen KZ.3 Betritt man die Pfarrkirche St. Peter und Paul findet man kein Mauerwerk, das an den 1257 bereits urkundlich erwähnten Bau erinnert. 1507 wurde die Kirche nach einem Brand neu aufgebaut, im 18. und 19. Jahrhundert umgebaut und 1912 restauriert. Die Einrichtung ist neugotisch, auch der Hochaltar mit dem alten Altarbild aus dem 17. Jahrhundert. Der Altar ist ein Werk des Bildhauers Johannes Rint aus Linz, der von Adalbert Stifter gefördert wurde. Stifter hatte ihm auch die Restaurierung des Kefermarkter Altars anvertraut.4 An einem Nebenaltar findet man eine Marienstatue aus dem 15. Jahrhundert. Nebenan steht die „Böhmische“, die St. Florian Kirche, in der einst die Messen tschechisch gefeiert wurden. Auch sie war nach dem Brand von 1718 neu aufgebaut worden. Das Bodenpflaster liegt niedriger als das umliegende Terrain und zeugt vom hohen Alter der um 1500 an Stelle eines Vorgängerbaues errichteten Kirche. Das ursprüngliche Renaissancerathaus aus dem Jahre 1555 teilt das Schicksal der anderen Bauten: Nach den Stadtbränden von 1718 und 1839 wurde es im Stile der Zeit umgestaltet.
Der Steinbrunnen am Stadtplatz trägt die Jahreszahl 1646, an der Spitze stand bis 1945 der doppelköpfige Adler. Das Denkmal für Kaiser Josef II., in Erinnerung an die tatkräftige Förderung der „Hohen Schule von Kaplitz“, der ersten Lehrerbildungsanstalt von ganz Österreich unter Pfarrer Kindermann, wurde 1919 gestürzt. „..dass Kaplitz einst ein mitteleuropäisches Zentrum ersten Ranges war..“:
„Eine für den Ort besonders interessante Periode bildet jene Zeit, in welcher Ferdinand Kindermann hier als Pfarrer wirkte. Der Genannte, vom Grafen Joh. Buquoy im Jahre 1771 nach Kaplitz berufen, besaß reiche pädagogische Kenntnisse und Erfahrungen, welche er an der damals einklassigen, unter ihm aber und zumeist auf seine eigenen Kosten erweiterten Ortsschule in einer Weise anzuwenden verstand, dass dieselbe als Musterschule galt und unter dem Namen „hohe Schule“ rühmlich bekannt wurde. Eine große Zahl Lehrer und Geistlicher kam damals teils aus eigenem Entschlusse, teils auf Anordnung und Kosten ihrer Vorgesetzten oder der Regierung nach Kaplitz, um sich unter der Leitung des ausgezeichneten Jugendbildners mit der neuen Lehrmethode, welche später (1774) durch Maria Theresia im ganzen Kaiserstaate eingeführt wurde, vertraut zu machen.“5 Kindermann legte hohen Wert auf die Volkssprache. Als er 1775 in Prag zum Oberaufseher des Schulwesens in Prag bestellt wurde, wurden in Prag Schulbücher auch in tschechischer Sprache herausgegeben. Maria Theresia erhob ihn 1777 in den Adelsstand mit dem Titel „Ritter von Schulstein“. 1790 wurde er zum Bischof von Leitmeritz bestellt, wo er 1801 starb.6 Dreiundachtzig Jahre später wurde zu seinen Ehren eine Gedenktafel an der neu errichteten Schule enthüllt. Sie war ca. 1,60 m lang und 1,1 m hoch und trug das modellierte Reliefbild des Schulmannes und die Inschrift: „Ferdinand Kindermann, Ritter von Schulstein -1884-Dem großen Jugendbildner“. Die Tafel wurde nach 1945 entfernt. „..und dass hier 1918 die Staatserklärung Deutschösterreichs vom 22. November 1918 über die Einbeziehung der deutschen Gebiete Böhmens in ihren Rechtsbereich sehr ernst genommen wurde..“
Auf die tragischen Jahre 1918/19 wurde bereits im Abschnitt „Vom Königreich Böhmen in die Tschechoslowakische Republik“ eingegangen. Diese Ausführungen werden hier in Bezug auf Kaplitz kurz ergänzt.
Am 17. November 1918 richtete der in Krumau aus Vertretern aller Gerichtsbezirke gebildete Nationalausschuss für den Gau Böhmerwald eine freudig bejahende Grußadresse an die provisorische Landesversammlung für Oberösterreich in Linz, die ihrerseits ihre freudige Zustimmung zur Absicht des Staatsrates aussprach, „die an Oberösterreich angrenzenden deutsche Gebiete Südböhmens staatsrechtlich und administrativ mit dem Lande Oberösterreich zu vereinigen“ 7 Im Laufe des Dezembers besetzte tschechisches Militär kampflos, von kleineren Abwehraktionen abgesehen, den Böhmerwald. Die Landesregierung in Linz und die Regierung Deutschöstereichs in Wien sahen die Lage als hoffnungslos an und wollten jedes Blutvergießen vermeiden. Als einzige Stadt des Böhmerwaldes gelang es in Kaplitz Abwehrkräfte zu mobilisieren. Das Kommando der Volkswehr hatte der Oberleutnant der k.u.k. Armee Franz Blätterbauer übernommen. Die Verteidiger verließen sich auf eine Zusage aus Linz, dass ihnen Artillerie umgehend zur Verfügung gestellt werde. In der Nacht vom 2. auf 3. Dezember kam zu einem heftigen Feuergefecht, wobei der Volkswehr nur wenige Maschinegewehre zur Verfügung standen. Eine Radfahrpatrouille brachte in der Nacht die Nachricht, dass die österreichische Artillerie bei Wullowitz stehe und nicht in den Kampf eingreifen dürfe. Ein Telefonat der Bezirkshauptmannschaft mit Linz brachte die Gewissheit, Landeshauptmann Hauser in Linz hatte im allerletzten Augenblick den Transport der Artillerie gestoppt und ihren Einsatz untersagt. Die militärische Übermacht der tschechischen Einheiten, die ihre Artillerie einsetzte, zwangen die Verteidiger sich über Meinetschlag nach Oberösterreich zurückzuziehen. Über den Bezirk wurde das Standrecht verhängt. Die Kaplitzer fühlten sich verraten. Die Zahl der Opfer beider Seiten wird verschieden angegeben. In Kaplitz starb Josef Neugebauer als er sich beim Friedhof abzusetzen versuchte nach einem Lungenschuss. In Umlowitz, Bahnhof, wurde ein Melder getötet, bei Zartlesdorf ein dritter Mann.8
Der militärische Widerstand war gebrochen, für den politischen die Grundlage gelegt.

Statistik:

Jahr Häuser Einwohner Deutsche Tschechen Andere
1890 348 2374 2187 187
1900 341 2441 2214 209 18
1910 363 2377 2259 117 1
1921 361 2260 1721 469 70 9
1930 375 2267 1643 562 62
1947 1588
1950 1920
1991 6489 10

Angaben in v. H.-Zahlen aufgrund der Volkszählungsergebnisse : Kaplitz

Jahr Deutsche Tschechen
1910 94,7 5,3
1921 90,2 9,7
1930 87,8 12,1 10

Stärke der Parteien:12

1923, 16 September – Gemeindevertretung

Liste Partei Stimmen Sitze
Liste 1 Deutsche Nationalpartei (DNP) 432 10
Liste 2 Christlichsoziale (DCVP) 380 9
Liste 3 Sozialdemokraten (DSAP) 190 5
Liste 4 Tschechische Parteien 245 6

1927, Oktober

Liste Partei Stimmen Sitze
Liste 1 Christlichsoziale (DCVP) 312 8
Liste 2 Deutsche Nationalpartei (DNP) 243 7
Liste 3 Sozialdemokraten (DSAP) 233 7
Liste 4 Deutsche Gewerbepartei 41 4
Liste 5 Tschechische Parteien 156 4

1931, 27. September

Liste Partei Stimmen Sitze
Liste 1 Deutsche Wahlvereinigung 445 14
Liste 2 Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei 242 6
Liste 3 Tschechische Parteien 289 5
Liste 4 Sozialdemokraten (DSAP) 107 3
Liste 5 Kommunistische Partei 68 2

1938, 12. Juni

Liste Partei Stimmen Sitze
Liste 1 DSAP 34 0
Liste 2 Sudetendeutsche Partei 1057 24
Liste 3 Tschechische Parteien 270 6

O. Hanke

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1 Roman Podhola, „Ausflüge in der Umgebung von ?es. Krumlov“, 2. Auflage, 2005,Hrsg.: OS TAM-TAM, Budweis, S.83.
2 Franz Pawel, Hsg. und Verleger“Heimat Kaplitz – Unser Erinnerungsbuch“, 1997, Linz, S. 19.
3 Herbert Sailer, Verfasser und Verleger „Kaplitz – Geschichte eines Städtchens im Böhmerwald“, 2. Auflage, S.192.
4 Franz Pawel, aaO. S.41.
5 Deutscher Böhmerwaldbund, Hrsg., „Führer durch den Böhmerwald“, 3. Auflage, 1903, Verlag des Deutschen Böhmerwaldbundes, Budweis, S. 250.
6 Herbert Sailer, aaO., S. 74.
7 Siegfried Haider, „Geschichte Oberösterreichs“, Verlag für Geschichte und Politik, Wien, 1987, S. 379.
8 Herbert Sailer, aaO. S.142 ff. Ähnlich: Franz Pawel, aaO. S.54 ff.
9 Franz Pawel, aaO. S. 59; sowie Herbert Sailer, aaO. S.109, 156; Roman Podhola, aaO. S. 83; die angegebenen Zahlen differieren für die Volkszählung 1910.
10 Joachim Bahlcke, Winfried Eberhard, Miloslav Polivka, Hrsg. „Böhmen und Mähren – Historische Stätten“ 1998, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, S.248.
11 Alfred Bohmann, „Menschen und Grenzen, Bd.4: Bevölkerung und Nationalitäten in der Tschechoslowakei“, 1975, Verlag Wissenschaft und Politik, Köln, S. 112.
12 Herbert Sailer, aaO., S. 160, 165, 169,178.